Marktplatz

Lesetipps


Andreas Koch: Selbstevolution.
Die Antwort auf eine globale Herausforderung.

Manchmal fallen einem Bücher in die Hände, die man mit wachsender Begeisterung liest und enthusiastisch, aber auch fast ein wenig mit verstecktem Bedauern, feststellt: «Genau das hätte ich auch schreiben wollen», oder «Grad so denke ich auch!»
Etwa so ist es mir mit dem Buch von Andreas Koch «Selbstevolution. Die Antwort auf eine globale Herausforderung« ergangen, das 2012 erschienen ist. In gut verständlicher, klarer Sprache zeigt der Autor auf, wie die jüngsten Krisen der Wirtschaft und der Gesellschaft insgesamt als Hinweis auf einen Umbruch gesehen werden können, der sich auf Veränderungen in der Struktur des menschlichen Bewusstseins auf individueller und kollektiver Ebene bezieht. Schon im Vorwort beruft er sich auf die bereits 1949 von Jean Gebser postulierte neue «integrale Bewusstseinsstruktur» und bezeichnet den Schritt in diese Richtung als längst überfällig. Die Absicht des Buches ist klar: es «ist keine geringere, als eine Anleitung anzubieten, wie man selbständig zu einer daran geknüpften neuen Denk- und Sichtweise gelangen kann, zu bewusstem qualitativem Wachstum – eben zur 'Selbstevolution'. Dahinter steht der feste Glaube an den Menschen, seine mentalen Fähigkeiten und seinen seelisch-geistigen Entwicklungsweg, welcher Bedeutung für die gesamte Schöpfung hat.» Jeder und jede Einzelne kann (und muss) diesen Schritt tun, nichts vollzieht sich von selbst, alle stehen in der Verantwortung, aktiv an diesem geistigen Wachstumsprozess teilzuhaben: das ist für mich zugleich die hoffnungsvolle Botschaft als auch das verpflichtende Credo dieses Buches.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil beschreibt der Autor in vier Kapiteln, basierend auf Erkenntnissen der modernen Natur- und Geisteswissenschaften, «weshalb die Welt so wurde, wie sie ist» – er zeigt auf, wie das Bewusstsein der Baumeister unseres Welt- und Wirklichkeitsverständnisses, wie jedes Weltbild ein Ausdruck des jeweiligen Zeitgeistes ist. Dabei stützt er sich vor allem auf die Erkenntnisse der Quantenphysik, aber auch auf die Jung'sche Psychologie, das Werk von Gebser und zieht ebenso die Theorie der kognitiven Entwicklung von Piaget, die Astrosophie von Schult und die Sichtweisen von Ken Wilber, Don Edward Beck oder Ervin Laszlo bei. Überhaupt beeindruckt das Buch durch die Fülle der Bezüge, die es zu unterschiedlichsten Autoren und ihren Werken, aber auch zum Gedankengut verschiedenster Religionen herstellt, auch wenn dies dann bisweilen, gezwungenermassen, etwas an der Oberfläche bleibt. Im letzten Kapitel dieses ersten Teiles behandelt der Autor die Notwendigkeit der Bewusstseinswandlung, die durch Krisen angestossen wird. Seine These ist: Je schneller wir diesen Prozess akzeptieren, eine konstruktive Einstellung dazu finden und selbst zu Mitgestaltern der globalen Bewusstseinsevolution werden, umso besser werden wir die neuen Möglichkeiten wahrnehmen können. Das Beharren auf überholten Strukturen führt zu Blockaden, letztlich zur Destruktion. Die einzige Voraussetzung zur Wandlung ist der Wille zur Selbstevolution – bewusst eine neue Art des Denkens entwickeln wollen!

Der zweite Teil des Buches ist – etwas provokativ – betitelt mit «Die fünf Gebote: ein selbstevolutionäres Konzept». Die Gebote sind nicht im traditionellen Sinn von «Du sollst – sollst nicht» zu verstehen, sie beruhen auch nicht auf moralischen Kriterien, sondern sie haben eher den Charakter von Leitsätzen. Ihr Ziel ist «mit einfachen Regeln maximale Veränderungskraft zu erwirken». Als Grundvoraussetzung für die Bewusstseinsentwicklung gilt, dass der Mensch als prinzipiell frei in seinem Denken und Handeln betrachtet wird. Doch jede Aktion ruft, analog dem physikalischen Grundgesetz, eine ihr energetisch und qualitativ entsprechende Reaktion hervor. Insofern können die fünf Gebote Orientierung und Lebenshilfe bieten, weil sie einen Weg zugleich zu integralem Denken und Handeln aufzeigen.

Der erste Leitsatz lautet: «Es gibt nur ein 'Göttliches' – Aufgehobensein im Selbst». Mit dem Göttlichen wird die Einheit hinter allen zeit- und konfessionsbedingten religiösen Personifizierungen und Symbolen verstanden, auf die sich die menschliche Sehnsucht nach Allverbundenheit seit jeher bezieht. Eher als in den trennenden Kirchen und Religionssystemen kommt im Ganzheitlichkeitsansatz der Quantenphysiker, die dem Transzendenten eine fundamentale Funktion zuweisen, die gemeinsame Basis von Mensch und Natur zum Ausdruck. Die Erfahrungsmöglichkeit von Allverbundenheit ist für Koch der wahre Kern des Religiösen und Voraussetzung für Selbstevolution: «Die Einheit allen Seins als Basis der Welt anzuerkennen, verbunden mit dem Bewusstsein der Notwendigkeit einer globalen Solidarität, ist der entscheidende Wandlungsschritt auf dem Weg in die Zukunft.« 
«Der Mensch ist verantwortlich – Bewusst die Welt neu entstehen lassen»: dies das zweite Gebot. Freiheit und Verantwortung sind, so Koch, das Yin und Yang einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Die Weiterentwicklung von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen – die wir selber geschaffen haben - darf nicht durch unsere Sicherheitsbedürfnisse blockiert werden, sonst drohen zerstörerische Revolutionen. Wir sollten beispielsweise, so Koch, bezogen auf das Geld-und Finanzsystem, «so rasch als möglich daran gehen, die Grundbedingungen eines Systems zu definieren, das allen Menschen und nicht nur partiellen Interessen dient.» Aber auch auf der individuellen Ebene ist Eigenverantwortung wichtig: immer deutlicher wird sichtbar, wie der Geist die Biologie, wie Gedanken und Gefühle, Überzeugungen und Umwelteinflüsse den Körper und selbst die Gene beeinflussen können.
Der dritte Leitsatz: «Achte und liebe jedes Wesen wie dich selbst – Glück und Kraft durch Verbindung«. In diesem Kapitel geht Koch der Bedeutung des Wortes Nächstenliebe in verschiedenen Kulturen, Philosophien und Religionssystemen nach. Heute, so ist er der Meinung, müssten wir Achtung und Liebe im Sinne des buddhistischen Karuna definieren: «Karuna gründet auf der Erfahrung der Einheit alles Seienden, erstreckt sich deshalb unterschiedslos auf alle Lebewesen. Dieser Begriff umfasst alle Handlungen, die helfen, das Leiden anderer zu verringern.» Nur dieses Grundgefühl von Wertschätzung, Achtung und Anteilnahme kann die kalte analytische Distanz zwischen Subjekt und Objekt in den Wissenschaften überwinden, nur auf der Basis dieses Gefühls können segensreiche Erkenntnisse und Erfindungen gemacht werden. Und letztlich: ein Mensch, der die Welt und alle ihre Geschöpfe liebt, trägt nicht nur zu deren Weiterentwicklung bei, sondern lebt auch «in Gott«.
Zum vierten Leitsatz: «Das Leben ist ewig – Zeit und Raum anders denken». Raum und Zeit sind nicht «wirklich», sie sind Bewusstseinkonstruktionen, die zur Orientierung in der physikalischen Aussenwelt praktisch sind, das bestätigt heute auch die Quantenphysik. Im integralen Bewusstsein ermöglicht ein neues Zeit- und Raumverständnis die «Zeitfreiheit», wo in allem nicht nur das aktuelle Seiende wahrgenommen wird, so Gebser, sondern gleichzeitig auch das Gewordene (Vergangenheit) und Latente (Zukünftige). Die strikte Trennung von Diesseits und Jenseits, von Tod und Leben ist obsolet, überall sind die zyklischen Urkräfte von Expansion und Kontraktion wahrzunehmen. Könnte man sich deshalb auch das eigene menschliche Dasein nicht als Teil eines grösseren Zyklus vorstellen, Geburt und Tod als Ein- und Austrittsvorgänge? Kulturell gesehen hat die Idee der Reinkarnation im Osten wie auch im Westen Tradition. Diese Idee kann im Leben des Einzelnen zu einer Befreiung führen und zu einer Kultur der Gelassenheit: man hat Zeit – Zeit, das Potenzial seines Selbst zu erfahren und auszuweiten. Andererseits nimmt sie den Menschen auch in die Pflicht: sie fördert zukunftsbezogenes, verantwortungsbewusstes Verhalten – man wird immer wieder konfrontiert mit Folgen …
«Alles hat Sinn – Höhere Ordnung erkennen und nutzen» – das ist der fünfte Leitsatz. Sinn zu sehen ist elementar für den Menschen, sowohl für das Individuum wie für ein Kollektiv. Sinnlosigkeit, so der Autor, führt zu Depression und (Selbst)Zerstörung. Selbstevolution bedeutet, Sinn und Ordnung von einer «höheren» Warte aus verstehen zu können. Für Koch ist die Welt aus persönlicher Erfahrung «alles andere als ein zufällig entstandenes Gemisch irgendwelcher Grössen und Kräfte, sie stellt vielmehr ein wunderbar einfallsreiches und ganzheitlich geordnetes System dar.» Und das Gefühl der Sinnlosigkeit entsteht durch Abtrennung vom Ganzen und durch die alleinige Identifikation mit dem Ich. Die spirituelle Rückbindung, die uns mit dem ganzheitlichen Urgrund verbindet, eröffnet uns auch Wahrnehmungsmöglichkeiten für unsere eigene Rolle im allumfassenden Lebensprozess.

Ein Buch zusammenfassen, zusammenfassend besprechen, von dem der Autor im Nachwort sagt, dass er sich von der Maxime «Reduce to the max» leiten liess, ist ein gewagtes Unterfangen. Noch einmal reduzieren, wo der der Autor sich schon auf das Wesentlichste beschränken musste: das birgt die Gefahr der Simplifizierung, auch der Banalisierung. Deshalb mein Rat: das Buch lesen! Es ist eine Fundgrube für Hinweise auf viele Forschungsgebiete und –ergebnisse des 20. Jahrhunderts, und es ist von einer wunderbaren Zukunftshoffnung getragen: «Das Geheimnis des Lebens ist Wachstum des Geistes.»

Eva Johner Bärtschi

> zurück zu den Lesetipps