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Jürgen Elsholz :
Bildung und Bewusstsein.

«Bildung und Bewusstsein» – das Buch von Jürgen Elsholz, herausgekommen 2013 im Tectum Verlag als Dissertation an der Universität Bielefeld, ist ein wichtiges, notwendiges Buch. Der Autor legt seiner Analyse die Kulturphilosophie Jean Gebsers zugrunde. Er will aufzeigen, in welch umfassender Art Gebsers Konzept der menschlichen Bewusstseinsstrukturen die Pädagogik der Gegenwart beeinflussen bzw. befruchten könnte. Er erweist sich als profunder Kenner der kulturphilosophischen Schriften Jean Gebsers, wobei er in seiner Analyse auch andere  Denker zur Stützung seiner diesbezüglichen Thesen heranzieht, so etwa – neben den «klassischen» Philosophen der Vergangenheit – Lama Anagarika Govinda, Peter Sloterdijk, Sri Aurobindo, Ken Wilber.

Der Mensch wird – in Anlehnung an Gebsers Konzept der stufenweisen Intensivierung des menschlichen Bewusstseins – als ein sich in permanenter Entwicklung befindliches Wesen definiert, und zwar in anthropologischer, bewusstseinstheoretischer und pädagogisch-asketologischer Sicht. Angestrebt wird, ganz im Sinne Gebsers, ein ganzheitlicher Blick auf das evolutionäre Wesen Mensch im 21. Jahrhundert. Elsholz plädiert für sog. «Anthropotechniken»: präventive Massnahmen zur körperlichen und geistigen Gesunderhaltung. Das Augenmerk wird auf das Hier und Jetzt gerichtet, Leib und Geist werden als fundmentale Einheit gesehen. Dem Begriff der «Achtsamkeit» kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung für eine Pädagogik der Gegenwart und Zukunft zu. Kritisch zu fragen wäre allerdings, ob der Begriff der sog. «Techniken» in diesem Zusammenhang glücklich gewählt ist.

Elsholz nimmt Gebsers Bildungsgedanken auf: Erwachsenenbildung ist in diesem Zusammenhang von grosser Bedeutung. Bildung soll kein Privileg einer elitären Menschengruppe sein. Sein Bildungsbegriff ist unabhängig von Schulen und Hochschulen, auch Lebenserfahrung zählt als wichtiger Bildungsbestandteil. Überhaupt müsste der Bildungsbegriff erweitert werden: nicht mehr Bildung, sondern Bewusstseinsbildung. Wie, wenn die «Schulpflicht» zugunsten der «Bildungspflicht» abgelöst würde?

Der Autor ist überzeugt, dass Gebsers Begriff des «integralen» Bewusstseins der Anknüpfungspunkt für künftige Forschungen im pädagogischen Zusammenhang von zentraler Bedeutung sein wird. Er referiert die Gebser'schen Bewusstseinsstrukturen (vorperspektivisch, perspektivisch und aperspektivisch) und widmet auch den einzelnen Stufen – archaisch, magisch, mythisch, mental-rational – ein besonderes Kapitel. Er zeigt auf, welche pädagogischen Schwerpunkte den einzelnen Strukturen inhärent sind bzw. waren und welche Forderungen die zu erwartende "integrale" Stufe für die Pädagogik der Gegenwart bzw. der Zukunft bereit hält, als Zusammenfassung und Ausgangspunkt eines neuen Bewusstseins, in welchem dem Begriff der «Zeit» eine neue, heute noch ungeahnte Bedeutung zukommen wird.   
Es ist das grosse Verdienst von Elsholz, dass er Gebsers kulturwissenschaftliches Konzept einer in mancher Hinsicht geist- und orientierungslosen Pädagogik der Gegenwart entgegensetzt und Wege aufzuzeigen versucht, die aus einer defizient rationalen Sackgasse herausführen könnten. In diesem Sinne sind wir dem Autor für die sorgfältige Aufarbeitung der Gebser'schen Gedankengänge zu Dank verpflichtet.

Christian Bärtschi

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