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Christian Bärtschi: Friedrich Eymann (1887–1954)
«Mutiger Denker, geistbegabter Lehrer»


So erzählte am 4. November im Kursraum am Berner Münsterplatz der Eymann-Experte – und die Gäste hörten ihm umso lieber zu, als gemäss neuem Konzept an Gebsertreffen nur noch ein Thema pro Abend behandelt wird, damit die Vortragenden genug Zeit haben für ihre Ausführungen und auch Raum und Atem da ist für Nachfragen und Gespräche. Auf diese Weise wurde auch der Abend über Eymann reich und lebhaft, ohne überladen zu sein.

«Der Gotthelf der Anthroposophen»:
Würdigung oder Spott?

Es war ein Urgestein des Berner Geisteslebens, das Christian Bärtschi in den Raum stellte. Von 1913 bis 1928 war Eymann reformierter Pfarrer in Eggiwil und bot im Pfarrhaus ein reiches Angebot der Erwachsenenbildung an mit einem Collegium Musicum und einem Collegium Philosophicum, in dem es ebenso um Hölderlins «Hyperion», Werner Sombarts Kapitalismuskritik wie um die Anatomie der Ameisen ging. Im Schicksalsjahr 1924 wurde Eymann nicht nur Seminarlehrer für Religion am staatlichen Lehrerseminar Hofwil, wo die SchülerInnen bald eine Aufstockung seines Pensums verlangten, er nahm auch an 3 von 5 Vorträgen von Rudolf Steiner über anthroposophische Pädagogik teil. Das bewegte ihn dazu, Steiners Werk intensiv zu studieren und liess in ihm die Vision aufkeimen, die Berner Staatsschule mit der neuen anthroposophischen Pädagogik zu bereichern. Damit aber begannen für Eymann, inzwischen auch ausserordentlicher Professor für Ethik war an der theologischen Fakultät der Uni Bern, jene massiven Probleme, die schliesslich zum Verlust all seiner Ämter und zu einer neuen Laufbahn als Vortragender, Autor und Verleger führten.

Schon die von Bärtschi aufgefundenen Stoffpläne des Religionslehrers in Hofwil belegen die Breite seiner Ansätze und provozierten die Kritik seiner Kollegen, weil er in seinen neuen Fragestunden für die SeminaristInnen «übermarche», d.h. die geziemenden Grenzen der unterrichteten Fächer überschreite. Aus dem Kollegengezänk wurde über die Jahre hinweg eine veritable Staatsaffäre. Auslöser waren zwei Publikationen von Eymann. Die erste von 1931 - «Das Christentum und die vorchristlichen Religionen» - umfasste seine religionsgeschichtlichen Betrachtungen und brachte die Theologenzunft gegen ihn auf: er sei ein Irrlehrer und Ketzer, und weil er als Anthroposoph bekannt war, verbündeten sich die untereinander zerstrittenen Barthianer, Liberalen und Positiven gegen den Abweichler und schlugen vereint gegen ihn los. Warum, lässt sich heute kaum mehr nachvollziehen. Offenbar war das Unerträgliche, dass er nicht wie gewohnt ein Gefälle zwischen dem einzig wahren Christentum und den so primitiven Heidenreligionen konstruierte, sondern ähnlich wie Gebser von einem Stufenmodell der Bewusstseinsentwicklung ausging, bei dem die im Mythischen wurzelnden Religionen, «als die Zeit erfüllet war», ins Christentum mündeten.


Noch konnte sich Eymann halten. Aber der zweite Hammer war sein Buch «Anthroposophische Pädagogik und Staatschule», das er 1936 mit Max Leist herausgab. Er verstand es als «Hinweis« darauf, dass «eine geistige Hilfe in der anthroposophischen Pädagogik angeboten» sei, was nun auch die Seminarwelt in Aufruhr brachte. War es doch, so der damalige Seminardirektor, «eine peinliche Überraschung», die es zudem an jeglicher kollegialen Rücksicht fehlen lasse. Vor allem kritisierten Eymann/Leist das Fehlen eines wahren Menschenbildes hinter der Pädagogik der Staatschule, während sie in Steiners Schulkonzept die Verwirklichung der von Pestalozzi entwickelten Menschenschule sahen. Der Skandal war total, Eymann nun unter Doppelbeschuss von Kirche und Staat, und im Berner Grossen Rat tobten heftigste Debatten um Lehr- und Lernfreiheit. 1939 verlor Eymann seine Religionslehrerstelle, 1944 gab er freiwillig seine Professur an der Uni zurück und engagierte sich fortan freiberuflich als Autor und Vortragsredner.

Verein, Verlag, Zeitschrift

Auch dazu schuf sich der rührige und kreative «mutige Denker», wie ihn eine Gedenktafel in seiner ersten Pfarrgemeinde Eggiwil würdigt, die entsprechende Infrastruktur, um sein freies Wirken ab-zustützen.1939 gründete er den Troxler-Verlag, wo er seine eigenen Schriften herausbrachte und ab 1945 auch die Zeitschrift «Gegenwart», die bis auf den heutigen Tag erscheint. 1942 gründete er die «Freie Pädagogische Vereinigung», die zuerst ein Schutz- und Trutzbündnis anthroposophisch orientierter Lehrkräfte im Staatsdienst war und immer mehr zu einer anerkannten Institution der Fort- und Weiterbildung wurde. 2011 fand in diesem Geist die 66. Trubschachen-Woche statt – ein lebendiger Ableger der einstigen Bildungsveranstaltungen im Pfarrhaus von Eggiwil.

Eymann und Gebser

Eymann kam gut 20 Jahre vor Gebser zur Welt und starb gut 20 Jahre vor ihm. Dennoch teilten sie von 1939 bis 1954, Eymanns Tod, den Kulturraum Bern als Stätte ihres Wirkens. Von einer Begegnung zwischen den beiden ist nichts bekannt: es ist ebenso fraglich, ob sie sich irgendwie über Zeitungen und Publikationen wahrgenommen haben. Biographisch fällt auf, dass beide ihre Hauptwerke relativ spät verfasst haben und relativ jung gestorben sind. Beide hatten auch eine enorme Vortragstätigkeit mit entsprechenden Reisen. Beide waren Männer des Wortes, die sprachen, unterrichteten, schrieben, publizierten. Die Liebe zum Musischen lebten sie unterschiedlich - Eymann als Musiker, Gebser als Dichter. Was sie inhaltlich teilten war die Liebe zu den Menschen, ihrer Freiheit und Individualität sowie die Vorstellung von einer etappenweisen Entwicklung des menschlichen Bewusstseins. Bei beiden – und das ist in der Geistigkeit im Europa des 20. Jahrhunderts selten und auffällig – findet sich auch der Gedanke der Reinkarnation. Und wenn Hofwiler Kollegen Eymann vorwarfen, «er übermarche», dann erinnert das an die häufige Kritik an Gebser, in seiner allumfassenden Kulturtheorie dilettiere der Nicht-Akademiker auf allen Gebieten, und sein philosophisches Gebäude stehe deshalb auf tönernen Füssen. Aber die Würdigung für Eymann auf der Eggiwiler Gedenktafel - «mutiger Denker, geistbegabter Lehrer» - steht auch Jean Gebser gut an.
Ursa Krattiger/5.11.11

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